Maßgeschneiderte Stammzellen für die personalisierte Medizin – auf diesem Feld hat ein deutscher Bioinformatiker an der Universität der Algarve (UAlg) jetzt für einen wichtigen Fortschritt gesorgt. Prof. Matthias Futschik (47) und sein Forscher-Team in Faro entwickelten den „StemMapper“. Vergleichbar einem GPS-System liefert das Computerprogramm eine Art Karte dafür, wie weit sich der Zustand einer aktivierten normalen Zelle in Richtung einer gewünschten Stammzelle entwickelt hat.
„In Prinzip kann man seit rund zehn Jahren viele Arten von menschlichen Zellen durch Aktivierung von vier Genen direkt in Stammzellen umwandeln“, verblüfft mich der 1970 in Waiblingen bei Stuttgart geborene Wissenschaftler, als ich ihn in Faro besuche. Sein Traum und der vieler Mediziner: Zum Ersatz abgestorbenen Gewebes solche speziellen Stammzellen zu injizieren, die dann im Körper die gewünschten Teile „reparieren“.
Deutscher Bioinformatiker unterstützt Entwicklung maßgeschneiderter Stammzellen
Bei sehr vielen Erkrankungen, zum Beispiel bei Herzinfarkt, Demenz, Alzheimer, Parkinson oder dem Grauen Star, wäre es wünschenswert und wichtig, abgestorbenes Gewebe durch neues, körpereigenes zu ersetzen, ohne fremdes transplantieren zu müssen, so der Bioinformatiker und Systembiologe im Gespräch mit mir. Hier kämen dann solche maßgeschneiderten Stammzellen ins Spiel, die sich aus körpereigenen Zellen durch gezielte Aktivierung von Genen genau zu dem entwickeln, was benötigt wird – etwa Knorpel für das lädierte Gelenk eines Sportlers.
Vorbei die Zeiten, als embryonale Stammzellen, aus Zellklumpen gewonnen, die einzigen waren, auf deren unentwegte Teilung und Erneuerung Mediziner ihre Hoffnung setzen mussten. Jetzt wird die Aktivität aller Gene in einer Zelle gemessen und geschaut, in welchem Zustand sie sich gerade befindet. „Wir können also feststellen: Ist sie einer ursprünglichen embryonalen Stammzelle ähnlich oder hat sie sich schon differenziert, etwa zu Nervengewebe“, erläutert mir Futschik.
Mit seinem StemMapper kann er die unterschiedlichen Zustände der Zellen besser charakterisieren, kann erkennen, welche der insgesamt 20.000 Gene sich wie verändern und ob bestimmte spezifisch aktiviert werden sollten. Denn der unendliche Teilungsprozess kann kontrolliert werden. Futschik macht es noch einfacher für mich: „Die Stammzelle hört auf sich zu teilen, wenn wir ihr von außen das Signal dafür geben. Wir können aber auch etwas hinzugeben und sie entwickelt zu etwas Bestimmteren“.
Futschik will aus dem "GPS" ein "Google Maps" für Stammzellen machen
Anders sei das bei Krebszellen, die ansonsten große Ähnlichkeit mit Stammzellen hätten. Krebszellen wuchern und de-differenzieren sich dabei. „Sie werden zum Beispiel von Hautzellen zu einem Geschwür, das mit Hautzellen nicht mehr viel zu tun hat“, sagt der Forscher. Umso wichtiger sei die Kontrolle der Zellentwicklung – auch beim Konzept der Bekämpfung von sogenannten Krebsstammzellen, das seit rund zwanzig Jahren verfolgt werde. Es gelte, gezielt den geringen Prozentsatz von Krebsstammzellen zu treffen, die von einer üblichen Chemotherapie therapeutisch oft nicht wirksam abgetötet werden.
Futschiks StemMapper hilft – vereinfacht gesagt – eben auch dabei, den Unterschied zwischen einer normalen Zelle und einer Krebsstammzelle zu erkennen. Um meinem Verständnis auf die Sprünge zu helfen, greift der Bioinformatiker zu einem Vergleich: „Bislang lagen die Daten in verschiedenen Beständen vor. Stellen Sie sich dazu Stadtpläne von Faro, Albufeira oder Portimão vor. Diese Karten waren nicht miteinander verbunden. Unser StemMapper nimmt nun alle diese Karten und visualisiert eine integrierte Gesamtansicht des Verkehrsnetzes der Algarve“.
Die meisten Nutzer des StemMappers seien Datenproduzenten und ‑analysten unter den forschenden Biomedizinern weltweit. Mit seiner Forschungsgruppe will Futschik künftig sein „GPS“ weiterentwickeln hin zu einem „Google Maps“ für Stammzellen, das den Weg der Entwicklung voraussage und helfe, ihn effizienter zu machen. „Denn genau bei der Effizienz müssen wir uns noch verbessern. Viele Methoden zur Umwandlung von Zellen funktionieren gut im Labor, aber sind noch nicht praktikabel für klinische Anwendungen.“
Nicht nur bei Stammzellen: Bioinformatik in Faro gilt als sehr effizient
Matthias Futschik schloss sein Physik-Studium 1998 an der Humboldt-Universität in Berlin mit dem Diplom ab. Nach einer Weltreise promovierte der Bioinformatiker 2003 in Neuseeland an der Universität Dunedin. Anschließend kehrte Futschik an die Humboldt-Universität nach Berlin zurück und forschte dort zu Fragestellungen der molekularen Netzwerke und der Systembiologie. 2008 wechselte Futschik auf eine Forschungsstelle an der Universität der Algarve. Trotz Rückgangs der Mittel infolge der Finanzkrise konnte er als Leiter der Forschungsgruppe Systems Biology and Bioinformatics Laboratory (SysBioLab), die bis zu zehn Wissenschaftler umfasste, mehrere Projekte in Gang setzen. 2016 erhielt er einen Ruf der Universität in Plymouth (Großbritannien), um dort als ordentlicher Professor zu arbeiten. An der Universität Faro ist Futschik nach wie vor Forschungsgruppenleiter. „Mit unseren wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus Faro schlagen wir uns weit besser, als es von unserer ‚Gewichtsklasse‘ zu erwarten wäre“, schmunzelt Futschik. Wenn man die finanzielle Ausstattung mit den wissenschaftlichen Resultaten vergleiche, sei das Forscherteam an der Algarve „extrem effizient“.
Der gebürtige Schwabe, der auf der Volkshochschule in Berlin Portugiesisch zu lernen begann, zog nach seinem Wechsel an die Algarve zunächst nach Faro und wohnt nun seit zwei Jahren in Barranco de São Miguel bei Estoi, wo er ein Haus besitzt. Dort lebt er mit seiner aus Lissabon stammenden portugiesischen Partnerin zusammen, geht gerne Kajaken in der Ria Formosa und auf Volkstanz-Festivals.
Auf einen ganz anderen Wissenschaftler der Universität der Algarve, den Archäologen Prof. João Pedro Bernardes, sind wir in unserem Beitrag "Archäologen finden Fischsoßen-Fabrik" eingegangen.