Algarve: Deutscher erforscht Krebs-Signale
Wo stehen wir im Kampf gegen den Krebs? Welche Erfolge dürfen wir in Zukunft erwarten? Antworten auf diese Fragen hat der deutsche Biomedizinforscher Prof. Wolfgang Link (54) von der Universität der Algarve (UAlg) jetzt in Lagos gegeben. Seinen Vortrag im dortigen Wissenschaftszentrum „Centro Ciência Viva“ fassen wir hier für Sie prägnant zusammen.
„Eine normale Zelle benötigt Signale von außen, um zu überleben, sich zu teilen, zu wachsen, sich zu bewegen oder zu sterben“, eröffnete Link seinen Vortrag. Aus 37 Billionen (zur Veranschaulichung: das entspricht einer 37 mit 12 Nullen) solcher Zellen, von denen sich in jeder Minute rund 300 Millionen teilen, besteht der menschliche Körper. Krebs-Zellen hingegen seien gewissermaßen im Dialog mit sich selbst. Sie hätten sich von externen Kontroll-Signalen unabhängig gemacht, so der Deutsche, der mit seiner Familie in der spanischen Hauptstadt Maid wohnt. Bei diesem Prozess spielen zwei Gruppen von Genen eine entscheidende Rolle: Tumorsuppressor-Gene und Onkogene.
Mehr als 100 verschiedene Krebs-Typen gibt es laut Link. Sie lassen sich in fünf Gruppen einteilen, die sich nach Häufigkeit des Auftretens und Gefährlichkeit unterscheiden. Mit mehr als 85 Prozent Anteil sind Karzinome die häufigste Krebs-Art und für über 80 Prozent der krebsbedingten Todesfälle verantwortlich. An zweiter Stelle stehen mit rund 6,5 Prozent die Blutkrebse. Weil Krebs-Zellen fast immer Merkmale derjenigen Zelltypen aufweisen, aus denen sie sich entwickelt haben, können sie Pathologen Aufschlüsse darüber geben, wo sich ein Tumor entwickelt.
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Erfolge im Kampf gegen Krebs, aber…
Die Sterblichkeit sei seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bei Darm- und Gebärmutterhals-Krebs durch Früherkennung und bei Magen-Krebs durch Änderungen in der Ernährungspraxis stark zurückgegangen, betonte Link. Allerdings zeigen sich vor allem fortgeschrittene Karzinome z. B. in der Lunge, der Leber, der Bauchspeichelüse, der Prostata, dem Enddarm und den Eierstöcken gegen die meisten Formen herkömmlicher Therapien resistent. Link und andere Experten schätzen, dass in den nächsten Jahren jeder itte an Krebs erkranken wird und jeder Vierte an Folgen von Krebs sterben wird. Haupt-Todesursache sind laut dem Forscher therapieresistente Metastasen.
Warum werden ständig mehr Krebserkrankungen entdeckt? Auch dafür gab Wolfgang Link eine plausible Erklärung: „Neuere Technologien liefern feinere Resultate und verbessern die Diagnose“. Allerdings sei die Gefährlichkeit eines entdeckten kleinen Tumors oft nur schwer vorherzusagen. Letztlich sei es auch eine Folge des Älterwerdens vieler Menschen, wenn in mehr Gewebeproben eine größere Anzahl kleiner Tumore auftauche.
Mehr Fälle von Krebs – der Preis fürs Älterwerden?
Man müsse sehen, so Link, dass die meisten der heute üblichen Krebs-Behandlungen noch vor dem Jahr 1975 entwickelt worden seien: „Herausschneiden, vergiften, verbrennen – das sind die Standardmethoden. Hinzu kommt noch die neuere Immuntherapie“. Die goldene Ära der Entwicklung von Krebs-Medikamenten seien die fünfzigerJahre des letzten Jahrhunderts gewesen, als Chemotherapeutika ihren Siegeszug in der Krebs-Medizin angetreten hätten. Jetzt breche eine zweite goldene Ära an – mit Genomforschung, welche die Entwicklung entsprechender Pharmazeutika vorantreibe.
So seien für metastasierten Haut-Krebs, bei dessen Bekämpfung in den vergangenen Jahren die bedeutendsten Fortschritte erzielt worden seien, seit 2010 in den USA und Europa allein sechs neue Medikamente zugelassen worden. Diese wirkten gezielt auf die genetischen Ursachen ein, statt, wie etwa herkömmliche Chemotherapie, nur bei den Symptomen anzusetzen – der schnellen Zellteilung. Künftige Krebs-Behandlungen, so der deutsche Wissenschaftler, werden nicht nur gezielter auf molekularer Ebene wirken, sondern auch auf das individuelle Profil der Patienten zugeschnitten.
Das verändere die Medikamentenforschung erheblich, betonte Link. Früher sei meist erst der Wirkstoff entdeckt und dann erst der Mechanismus erforscht worden, durch den er seine Wirkung entfaltet. Heute hingegen verlaufe der Prozess praktisch umgekehrt. Der Biomediziner machte das am Beispiel Brust-Krebs deutlich. Forschung habe herausgefunden, dass bei 30 Prozent der Brust-Krebspatientinnen ein bestimmter Zell-Rezeptor, der die Zellteilung anregt, deutlich zu häufig vertreten sei. Folge: ein rasantes Wachstum von Krebszellen. Daraufhin hätten Forscher den Wirkstoff Herceptin entwickelt, der sich gezielt an diesen Rezeptor binde und ihn wirksam blockiere.
„Selbstverständlich wollen wir die anderen 70 Prozent der Patientinnen mit Brust-Krebs, die von Herceptin nicht profitieren würden, nicht mit diesem spezifisch wirkenden Medikament behandeln“, machte Link deutlich. Ausserdem ist diese Behandlung teuer und nicht frei von Nebenwirkungen. Deshalb ist es notwendig, vor der Behandlung diejenigen Patienten zu identifizieren, deren Tumor eine Überproduktion des Rezeptors aufweist.
Hochwirksame Krebs-Medikamente nur für Reiche?
Das gesammelte Forschungswissen in individuell und gezielt wirkende Medikamente umzuwandeln, dauere im Durchschnitt rund zwölf Jahre und koste jeweils etwa 350 Millionen Euro. Solche Präzisions-Onkologie könne aber schon bald die Zahlungsfähigkeit der staatlichen Gesundheitssysteme überfordern, fürchtet der Professor der Algarve-Universität. Der Fall des hochwirksamen, aber extrem teuren Hepatitis C‑Medikaments Sovaldi habe dafür einen Vorgeschmack geliefert.
Die heutige Medikamentenforschung basiere mehr denn je auf fundiertem Wissen der molekularen Krankheitsmechanismen, verdeutlichte Link. Dieses Wissen werde oft in Labors von Universitäten oder staatlichen Forschungseinrichtungen, die aus Steuergeldern finanziert werden, gesammelt. Pharmakonzerne nutzten diese Ergebnisse und stellten dann „überteuerte, präziser wirkende Medikamente“ her, deren Verschreibung den Steuerzahler allerdings ein zweites Mal Geld koste, so Link. Er fordert von der Politik, dass ein grösserer Teil der Gewinne für die Erforschung zukünftiger Therapien an Universitäten und Instituten zurückfliesst und dass der Zugang zu innovativen Medikamente für alle, unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten, sichergestellt wird.
Dem Krebs seit mehr als 20 Jahren auf der Spur
Wolfgang Link, gebürtiger Münchner, ist Assistenzprofessor im Bereich Biomedizin und Medizin (CBMR) an der Algarve-Universität in Faro. Dort leitet er die Abteilung für Onkobiologie und koordiniert die fachübergreifende biomedizinische Forschung. Der Experte für molekulare Biomedizin hat zuvor lange Zeit im spanischen Zentrum für Biotechnologie CNB und im nationalen Krebs-Forschungszentrum gearbeitet, beides in Madrid. Link weist mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Grundlagenforschung auf, die sich in mehr als 65 wissenschaftlichen Publikationen, zahlreichen Buchkapiteln und drei Patenten niedergeschlagen haben. Der Deutsche ist oft zu Vorträgen auf internationalen Konferenzen eingeladen, wie etwa Anfang Mai als Hauptredner auf einem Kongress in Peking.
In seinem Labor in Faro forscht Link zusammen mit seinen sechs wissenschaftlichen Mitarbeitern daran, die Unterschiede in der Signal-Sprache von gesunden Zellen und Tumorzellen zu verstehen. Im Mittelpunkt steht dabei die Funktion bestimmter Proteine, die uns vor Krebs schützen.
Das Centro de Ciência Vida in Lagos, an dem Prof. Wolfgang Link seinen Vortrag hielt, gehört mit den anderen beiden Algarve-Zentren in Faro und Tavira zu einem Netzwerk von 20 gleichartigen Einrichtungen in Portugal, die Wissenschaft populär erklären sollen. In der Außenstelle Lagos, ganz nahe beim Mercado und unweit des Yachthafens, läuft alle zwei Monate an einem Freitagabend das Programm "Ciência4All". In englischer Sprache tragen meist Forscher der Universität der Algarve Einheimischen und ausländischen Residenten neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus ihrer Arbeit vor. Die Vorträge wechseln sich ab mit Exkursionen. Interessenten können sich in einen Newsletter eintragen und regelmäßig über die Angebote informieren lassen.
Weitere Beiträge über Algarve-Wissenschaftler
Einen anderen deutschen Forscher an der Algarve-Universität in Faro haben wir bereits Mitte März vorgestellt: Prof. Matthias Futschik. Der Bioinformatiker soft für Forschritt bei maßgeschneiderten Stammzellen für die personalisierte Medizin. Lesen Sie mehr darüber in unserem Beitrag "Algarve-Forscher entwickelt GPS für Stammzellen".
Auf einen weiteren Wissenschaftler der Universität der Algarve, den Archäologen Prof. João Pedro Bernardes, sind wir in unserem Beitrag “Archäologen finden Fischsoßen-Fabrik” eingegangen.