Silva: Algarve konkurriert nicht mit Türkei
Desidério Silva, Präsident des regionalen Verbands „Turismo do Algarve“ (RTA), hat der Redaktion „Algarve für Entdecker“ auf der Internationalen Tourismusbörse ITB 2018 in Berlin ein ausführliches Exklusiv-Interview gegeben. Dabei blieb Silva auch auf heikle Fragen rund um die Verkehrs- und Gesundheits-Infrastruktur sowie zu den umstrittenen Ölbohrplänen keine Antwort schuldig. Klartext sprach Silva zudem zu den Themen Konkurrenz und Preise.
Frage: Das Image der Algarve ist gut. Es wird ja auch stark beworben. Urlauber kaufen aber kein Image, sondern ein Produkt. Hat die Algarve genügend gut definierte Produkt-Pakete, die ein reisewilliger Tourist erwerben kann?
Silva: Gegenwärtig bietet die Algarve eine Vielzahl von Packages an, die neben dem Aufenthalt auch Aktivitäten in der Region beinhalten. Zu den Angeboten, welche die bloße Unterkunft ergänzen, zählen u.a. Unternehmungen in der Natur, Rad- und Wanderprogramme, Kulturrouten sowie Wellnessprogramme. Besonders hinweisen möchte ich auf unser Projekt “Algarve Cooking Vacations”: Es beruht auf ausgearbeiteten drei- bis siebentägigen Gourmet- und Weinreisen, bei denen Kochkurse, der Besuch von Weinkellereien und Weingütern, Verkostungen und andere Freizeitaktivitäten auf dem Programm stehen.
Frage: Die Zahl aller Urlaubsgäste und Übernachtungen an der Algarve nahm 2017 um jeweils gut fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. Die Einnahmen wuchsen aber um gut 13 Prozent und überschritten die Summe von einer Milliarde Euro. Das deutet auf deutliche Preiserhöhungen hin. Kann sich die Algarve angesichts der Wettbewerbssituation solche Preiserhöhungen auf Dauer leisten?
Inhaltsverzeichnis
- 1 Silva: Algarve punktet mit Qualität und Sicherheit
- 2 Silva: Investieren verstärkt in Rad- und Wanderwege
- 3 Silva: TAP muss mehr Algarve-Direktflüge anbieten
- 4 Silva: Bahnverbindungen verbessern sich bis 2021
- 5 Silva: Mautsystem und Gebühren überarbeiten!
- 6 Silva: Dringender Handlungsbedarf im Gesundheitssystem
- 7 Silva: Algarve wird ganzjähriges Reiseziel
Silva: Algarve punktet mit Qualität und Sicherheit
Silva: Im Vergleich mit anderen Konkurrenzdestinationen wie beispielsweise der Türkei, Ägypten oder Tunesien wird die Algarve nie mithalten können, was das Preisniveau anbetrifft. Dafür punktet die Region mit anderen, sehr wichtigen Vorzügen, die eine große Anziehungskraft auf Touristen ausüben, wie z.B. Qualität und Sicherheit. Aus diesem Grund halte ich eine solche Preissteigerung mittel- und langfristig für vertretbar.
Frage: Auf die Algarve entfielen 2017 rund 30 Prozent der Gesamtumsätze des Tourismus in Portugal bei nur zwanzig Prozent Anteil an den Gästen. Wie beurteilen Sie dieses Verhältnis?
Silva: Wir sprechen hier von zwei Indikatoren, die völlig unterschiedliche Bereiche umfassen. Der erste bezieht sich auf die Übernachtungszahlen. Die Algarve verzeichnete im vergangenen Jahr 19 Millionen Übernachtungen, was einem Marktanteil von 33,1 Prozent an der Gesamtübernachtungszahl in Portugal entspricht. Dem gegenüber stehen 4,1 Millionen Gäste, die die Algarve besucht haben und einen Anteil von 20 Prozent an der Gesamtbesucherzahl auf nationaler Ebene ausmachen. Diese Zahlen untermauern die Rolle der Algarve als Urlaubsregion Nummer eins in Portugal.
Frage: 79 Prozent aller Übernachtungen an der Algarve sind auf Ausländer zurückzuführen. Wie bewerten Sie die besondere Bedeutung der Urlauber aus dem Nachbarland Spanien?
Silva: 2017 lag Spanien als Entsendermarkt auf Platz 7, was die Algarve betrifft. Unsere Region registrierte 890.000 Übernachtungen von spanischen Besuchern; das bedeutet einen Zuwachs von 6,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Aufgrund seiner Nähe stellt Spanien für die Algarve einen strategischen Markt dar, der eher für Kurzaufenthalte außerhalb der Hochsaison und für spezielle Veranstaltungen wie etwa die Algarve Nature Week gewonnen werden kann.
Frage: Wandern und Radfahren sind zwei Felder, auf denen die Algarve mehr Aktiv-Urlauber anziehen will. Das hat auch mit der Entzerrung der Hochsaison zu tun. Welche Verbesserungen am Netz von Wander- und Radfahrwegen sind Ihrer Meinung nach noch notwendig und wann sind sie zu erwarten?
Silva: Investieren verstärkt in Rad- und Wanderwege
Silva: Radfahren und Wandern sind zwei Marktsegmente, die für die Algarve von strategischer Bedeutung sind, bietet die Region doch alle Voraussetzungen, um mit dem Rad oder zu Fuß erkundet zu werden. Besonders seit 2016 ist deutlich zu bemerken, dass die Algarve verstärkt in die Verbesserung der Wegstrecken investiert, beispielsweise mittels neuer Markierungen und der Erstellung von neuem Kartenmaterial. Vor kurzem wurden einige wichtige Arbeiten am Küstenradweg (Ecovia do Litoral) durchgeführt, andere sind geplant. Die Region setzt darauf, die Unternehmen dabei zu unterstützen, radfahrer- und wandererfreundlich zu werden. Ein Beispiel dafür ist der Flughafen Faro, an dem eine Radwerkstatt eingerichtet wurde, um den Radfahrern den bestmöglichen Service bieten zu können.
Frage: Von der neuen Leiterin des Kulturprogramms 365 Algarve ist zu lesen, dass sie künftig auch mehr ausländische Residenten und Urlauber ansprechen will. Welchen Charakter müssten Ihrer Meinung nach Kulturveranstaltungen an der Algarve haben, um verstärkt auch ausländische Urlauber zu Kurzurlauben in die Region zu locken? Wie viele solcher Events sollte es geben und wie wichtig ist Ihnen Wirkung in ausländischen Medien?
Silva: Vorrangiges Ziel des Programms 365 Algarve ist es, das bereits bestehende touristische Angebot in der Region zu verbessern und das Gebiet aufzuwerten. 365 Algarve stellt eine hervorragende Möglichkeit dar, das künstlerische und kulturelle Schaffen an der Algarve während der Nebensaison anzuregen und zu fördern und so ein neues Publikum zu gewinnen, das sich sowohl aus der einheimischen Bevölkerung als auch aus nationalen und internationalen Touristen zusammensetzt, die die Region besuchen. Statt andere Veranstaltungsarten zu fördern, besteht unsere Maßnahme darin, in andere Kommunikationskanäle zu investieren, mit denen die ausländischen Touristen besser erreicht werden können, und gezielt auf die Ansprache speziell dieses Publikums zu setzen. Wir sind dabei, einige Änderungen vorzunehmen, die es uns ermöglichen werden, die Sichtbarkeit und die Klicks im Publikum zu erhöhen.
Silva: TAP muss mehr Algarve-Direktflüge anbieten
Frage: Der Flughafen der Algarve, Faro, wird von der portugiesischen Fluggesellschaft TAP relativ schlecht bedient. Glauben Sie, dass sich unter dem neuen Top-Management daran bald etwas ändern wird?
Silva: TAP hat es bislang versäumt, der Algarve die strategische Bedeutung beizumessen, die sie mit ihrem Anteil von annähernd 40 Prozent an den Tourismuseinnahmen des Landes für die portugiesische Tourismus- und Wirtschaftsbranche hat. 2017 zählte der Flughafen Faro 8,7 Millionen Passagiere, aber TAP hatte nur einen Anteil von drei Prozent am Gesamtaufkommen. Was die Region benötigt, sind mehr Direktflüge und eine Verkürzung der Wartezeiten bei den Zwischenstopps in Lissabon. Es ist Aufgabe von TAP, die Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um diese Ziele zu verwirklichen und die Bedeutung der Region und ihrer Wirtschaftskraft endlich so zu würdigen, wie es ihr zusteht.
Frage: 2017 war überschattet von der Pleite der Fluggesellschaften Monarch (ein wichtiger Carrier für die Algarve) und Airberlin. Rechnen Sie mit Schwierigkeiten weiterer Billig-Airlines, die Faro anfliegen?
Silva: Wir hoffen, dass die Insolvenzen der Fluggesellschaften Monarch und Air Berlin Einzelfälle bleiben.
Silva: Bahnverbindungen verbessern sich bis 2021
Frage: Bleiben wir kurz am Flughafen. Er ist mit dem Schienennetz der Algarve nicht unmittelbar angebunden. Wann wird sich an diesem Zustand endlich etwas ändern?
Silva: Die Zugverbindungen an der Algarve sind von großer Bedeutung für den Tourismus und die regionale Wirtschaft. Die Modernisierung der Bahnstrecke wird den Passagieren das Reisen innerhalb der Algarve und ins Nachbarland erleichtern. Hierbei geht es um die Elektrifizierung der gesamten Strecke sowie die dringend benötigte Anbindung an den Flughafen Faro, wodurch der Transport von Waren bis an den Flughafen und die Beförderung der vielen Tausend Touristen, die per Flugzeug anreisen, sichergestellt werden. Die Arbeiten an der Bahnlinie sollen bis 2021 abgeschlossen sein; warten wir also ab.
Frage: Ein anderes Ärgernis für Urlauber ist das sehr komplizierte Mautsystem auf der A 22. Zwar waren die Gebühren zunächst etwas gesenkt worden, sind aber jetzt auf bestimmten Teilstrecken wieder angehoben worden. Einige Politiker befürworten die Abschaffung der Maut. Was ist Ihre Haltung?
Silva: Mautsystem und Gebühren überarbeiten!
Silva: Seit meinem Amtsantritt im Jahr 2012 habe ich mich stark gemacht für die Abschaffung der Mautgebühren auf unserer Autobahn A22, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Region als Tourismusdestination stark behindert haben. Die gute Erreichbarkeit einer Destination zählt zu den grundlegenden Voraussetzungen für deren touristische Attraktivität. Niemand will seinen Urlaub in einem Feriengebiet verbringen, in dem er vor der Einreise dadurch aufgehalten wird, dass er sich erst über die Zahlungsmodalitäten für die Entrichtung der elektronischen Maut informieren muss, weil die entsprechenden Hinweisschilder an der Grenze unverständlich sind. Das Mautsystem und die Gebühren müssen überarbeitet werden, damit der Tourismusstrom ungehindert fließen kann und die Zufriedenheit unserer Gäste gewährleistet ist.
Frage: Das Jahr 2017 war geprägt durch viel Sonnenschein, aber auch durch eine extreme Trockenheit. Wie wird es 2018 mit der Wasserversorgung an der Algarve aussehen? Wie wird der Wasserverschwendung entgegengetreten?
Silva: Die Trockenheit hat das ganze Land heimgesucht, aber das Wasserversorgungsunternehmen Águas do Algarve hat kürzlich verlautbaren lassen, dass die Versorgung der Bewohner und Besucher der Algarve mit Wasser im laufenden Jahr sichergestellt ist. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir dem verschwenderischen Umgang und dem erhöhten Verbrauch dieses kostbaren Gutes Vorschub leisten können. Es ist vielmehr unerlässlich, dass wir alle mit dieser auch für den Tourismus so wertvollen Ressource verantwortungsvoll und sparsam umgehen. In diesem Sinne müssen Beherbergungsbetriebe, Veranstalter, Einheimische und Touristen für ein bewusstes Verbrauchsverhalten und den sparsamen Wasserkonsum sensibilisiert werden.
Silva: Dringender Handlungsbedarf im Gesundheitssystem
Frage: In Spitzenzeiten des Tourismus gibt es offenbar immer wieder besonders große Probleme mit dem Rettungsdienst und der Gesundheitsversorgung an der Algarve. Es mangelt an Ärzten, Krankenschwestern und anderem Personal und Ausrüstung. Wie sollte das Vertrauen der Urlauber in eine funktionierende Notfall-Versorgung gestärkt werden?
Silva: Das Vertrauen der Touristen lässt sich aufbauen, indem man die Qualität und Effizienz der Gesundheitseinrichtungen unter Beweis stellt. Fehlende Qualität löst bei Residenten und Touristen Besorgnis aus und stellt eine Bedrohung für die Destination dar; aus diesem Grund ist es dringend erforderlich, dass sich die Regierung mit der Situation der regionalen Gesundheitseinrichtungen befasst und sofortige Maßnahmen ergreift, um die Krankenhäuser und Gesundheitszentren mit den notwendigen Geräten und ausreichendem Personal auszustatten, damit die Patienten angemessen behandelt werden können. Aber nicht nur die Tourismuswirtschaft hat einen Anspruch auf eine leistungsfähige und humane medizinische Versorgung; in erster Linie stellt sie ein Grundrecht der Bewohner und Besucher der Algarve dar.
Frage: Müssen Gäste, welche 2018 die Westküste der Algarve und des Alentejo besuchen wollen, damit rechnen, dass es 45 Kilometer vor Aljezur zu Testbohrungen auf der Suche nach Öl kommen wird?
Silva: Ich hoffe ernsthaft, dass die Regierung die Verträge über Ölbohrungen und die Förderung von Öl in der Region kündigt und damit diesem Vorhaben an der Costa Vicentina eine endgültige Absage erteilt. Die Algarve ist ein Reiseziel, in dem Natur und Ökologie eine sehr große Rolle spielen, und solche Eingriffe, die die Umwelt schädigen und verschmutzen, könnten die Zukunft und die Nachhaltigkeit der Destination gefährden.
Frage: Die Algarve ist mit ihrem Golf-Produkt erfolgreicher als die meisten anderen Golf-Destinationen der Welt. Golf-Spieler streben zu Zeiten an die Algarve, in denen die Badegäste sie verlassen. Welche anderen Mittel gibt es, um die Schulter- und Neben-Saison zu stärken?
Silva: Die Algarve hat unzählige touristische Reize zu bieten – angefangen bei den Produkten “Sonne und Meer” und “Gastronomie und Weine” über die breite Palette an Freizeitaktivitäten im Freien bis hin zum reichen Kulturerbe, der Natur, den Wander- und Radwegen und vielem mehr. Und es gibt unzählige Gründe, warum Touristen aus dem In- und Ausland die Algarve besuchen und sich für die Region begeistern sollten.
Frage: Wenn aber im Dezember und Januar nur rund die Hälfte der Bettenkapazität von Hotels bereitsteht, ist die Auswahl für Touristen stark eingeschränkt. Welchen Anreiz brauchen Hotels, um möglichst durchgehend geöffnet zu haben? Das ist ja auch für die Beschäftigten wichtig.
Silva: Algarve wird ganzjähriges Reiseziel
Silva: Glücklicherweise vollzieht sich gerade ein Wandel: Immer mehr Hotels bleiben auch während der Wintermonate geöffnet. Und nur so wird es möglich sein, die Algarve als ganzjähriges Reiseziel zu etablieren. Wenn wir den Tourismus außerhalb der Hochsaison ankurbeln wollen, müssen wir garantieren können, dass den Reisenden auch Hotels, Restaurants, Ausflugsanbieter usw. in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen.
Frage: Hotellerie und Gastronomie an der Algarve können schon jetzt kaum den Bedarf an Arbeitskräften decken. Was muss aus Ihrer Sicht geschehen?
Silva: Im ganzen Land gibt es eine große Nachfrage nach qualifiziertem Hotelpersonal. Wir müssen die Berufe im Gastronomiegewerbe aufwerten, für angemessene Ausbildungstandards sorgen und auf die Requalifizierung von Arbeitslosen setzen.
Frage: Die Algarve-Hotels steigern ihre Durchschnittserträge pro verfügbarem Zimmer Jahr für Jahr stark. Sie haben etwa das Niveau des Jahres 2000 erreicht. Besteht die Gefahr, dass die Hotels zu stark die Preise erhöhen?
Silva: Ich denke, dass das zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Problem darstellt. Der Zimmerpreis entspricht der angebotenen Qualität. In Portugal wurden lange Zeit Preise verlangt, die weit unter einem für Europa realistischen Niveau lagen. Und ich betone noch einmal: die Wettbewerbsfähigkeit der Algarve basiert nicht auf dem Preis, sondern auf der Qualität.
Frage: Spielen wir ein Szenario durch: Die Briten und die Deutschen kehren 2018 wieder verstärkt zu Billigzielen in Nordafrika und in die Türkei zurück. Was passiert dann hier an der Algarve? Für wie realistisch oder unrealistisch halten Sie solch ein Szenario?
Silva: Wie bereits erwähnt kann die Algarve, was den Preis betrifft, mit gewissen anderen Destinationen wie Nordafrika oder der Türkei nicht konkurrieren. Aber zur Zeit sind den Touristen andere Faktoren, z.B. Qualität und Sicherheit, wichtiger. Und die Algarve kann beides gewährleisten.
Hinweis der Redaktion: In Kürze bringen wir ein Gespräch mit der Geschäftsführerin der Auslandspromotion-Agentur der Algarve, Dora Coelho, das wir ebenfalls auf der ITB 2018 in Berlin führten. In mehreren weiteren Beiträgen haben wir bereits von der Internationalen Tourismusbörse berichtet:
Lesen Sie zum Beispiel unser Interview mit Tourismus-Staatssekretärin Ana Godinho unter dem Titel "Portugal bleibt für Urlauber aus Deutschland interessant".
Welche Meinung die Hotelverbands-Präsident Elidérico Viegas zum Algarve-Tourismus und seiner Zukunft haben, können sie im Artikel "ITB: Algarve-Hoteliers froh und besorgt" nachlesen.